Have any questions?
+44 1234 567 890
Partizipation und Engagement
Die zur Förderung der Entwicklung junger Menschen zur Verfügung gestellten Angebote der Jugendarbeit, „ […] sollen an den Interessen junger Menschen anknüpfen und von ihnen mitbestimmt und mitgestaltet werden, sie zur Selbstbestimmung befähigen und zu gesellschaftlicher Mitverantwortung und zu sozialen Engagement anregen und hinführen“ (§11ISGBVIII).
Der Auftrag in der Kinder- und Jugendarbeit ist klar; Die Förderung von Engagement, Partizipation sowie Demokratiebildung und Teilhabe umfassend zu ermöglichen, und dabei vor allem die zu erreichen, die scheinbar nicht teilhaben wollen (oder können?), ist allerdings nicht immer so einfach. Junge Menschen werden schnell als politisch und gesellschaftlich desinteressiert abgestempelt (nach dem Motto „die interessiert das einfach nicht“). Dabei ist es eine Binsenweisheit, dass jeder Mensch (und damit auch jeder Jugendliche) eine Meinung hat und das eigene Leben aktiv mitgestalten will! Es ist jedoch nicht immer erfolgsversprechend, Kindern und Jugendlichen einfach ein Mikrofon „unter die Nase zu halten“, um herauszufinden, was sie brauchen und was sie aktuell beschäftigt. Um Wege zu finden, wie lebensweltorientierte und demokratische Aushandlungs- und Partizipationsräume geschaffen werden können, lohnt es sich, die Dimensionen hinter dem Partizipationsbegriff zu durchleuchten und somit die eigene, professionelle Haltung sowie Praxis zu reflektieren und weiterzuentwickeln.
Was bedeutet überhaupt Partizipation?!
Partizipation kann „[…] als ein auf Öffentlichkeit bezogenes individuelles Handeln […]“ definiert werden (Schwanenflügel, 2013, 15). Dies beinhaltet sowohl gesellschaftliche Teilhabe, wie Einflussrechte und Zugänge zu zentralen gesellschaftlichen Bereichen, als auch die aktive Einflussnahme im Sinne von Beteiligung und Mitwirkung im öffentlichen Raum, der eigenen Lebenswelt, Politik oder Jugendarbeit. Der Auftrag der Kinder- und Jugendarbeit besteht darin, Räume zu schaffen, in denen junge Menschen mitwirken und mitbestimmen können (dies dürfte keine neue Erkenntnis sein – und trotzdem lohnen sich die nachfolgenden Überlegungen). Junge Menschen sollen die Erfahrung machen, Einfluss ausüben zu können und so zu gesellschaftlichem Engagement ermutigt und motoviert werden. Engagement meint dabei keinen Altruismus oder kostenfreie Dienstleistung für hilfsbedürftige Menschen. Es geht um eine demokratische und selbst organsierte Beteiligung an der Mitgestaltung von Gesellschaft, die immer auch von eigenen Interessen und Wünschen geprägt ist (und dies auch sein darf) (Sturzenhecker, 2015, 69).
Partizipation ist nicht als feststehender Begriff zu verstehen, der an die soziale Wirklichkeit herangetragen wird und an dem diese gemessen werden kann (Schwanenflügel, 2013, 265) – es gibt also nicht objektiv die Partizipation, die wir wie eine Schablone an die Handlungen von Kindern und Jugendlichen legen können um zu schauen, ob sie mit ihren Aktionen gerade ihre Teilhabe ausdrücken möchten oder nicht. Das bedeutet, dass hegemoniale Vorstellung bestimmen, was Partizipation ist, welche Handlungen und Äußerungen als solche anerkannt werden und welche nicht. Außerdem entspringt Partizipation biografischen Motiven und ist vom Subjekt her zu denken: Menschen aus privilegierten Kontexten können leichter partizipieren, da sie aus ihrer Sozialisation heraus die Erfahrung gemacht haben, dass formale Kontexte für sie biografisch nutzbar sind. In der Praxis bedeutet das, dass Jugendliche und Erwachsene, die sich auf eine bestimmte Art ausdrücken und präsentieren können, häufig die Erfahrung gemacht haben, dass sie in „klassischen“ Beteiligungsformaten Gehör finden. Im Vergleich dazu können als benachteiligt etikettierte Jugendliche solche Erfahrungen kaum bis gar nicht aufweisen (ebd.). Folglich werden sie als uninteressiert an sozialer sowie politischer Teilhabe und Mitbestimmung stigmatisiert. Dieses Bild wird zusätzlich dadurch verstärkt, dass Partizipation häufig auf institutionalisierte Beteiligungsformen reduziert wird, wie die Teilnahme an Wahlen, die Mitarbeit in Jugendgremien, Gewerkschaften o.ä. Benachteiligte Jugendliche werden so aufgrund scheinbar mangelnder Partizipationskompetenz als Problemgruppen markiert, es wird suggeriert, dass die mangelnden Partizipationskompetenzen nur durch ein Mehr an formaler Bildung gelöst werden könnten. Das Partizipationshandeln solcher Jugendlicher, das oft vermehrt im Nahumfeld und Alltag stattfindet, bleibt dabei unsichtbar, da es nicht als solches anerkannt wird (ebd., 16). Beispiele hierfür wären die Aufnahme wohnungsloser Nachbar*innen oder Bekannte*r, trotz eigener finanzieller Engpässe sowie der Zusammenschluss zu Netzwerken z.B. zur gegenseitigen Unterstützung bei der Kinderbetreuung.
Zusammenfassend ist es also wichtig den Partizipationsbegriff kritisch zu hinterfragen, weil…
- Partizipation von sozialen Ungleichheiten durchdrungen ist und nicht getrennt von ihnen betrachtet werden kann – wer kann sich überhaupt wann und wo beteiligen? Oft gibt es unsichtbare Hürden und Ausschlüsse.
- Partizipation ein normativer Begriff ist und die dahinterliegenden Deutungsmuster selbst zur (Re-)Produktion sozialer Ungleichheiten beitragen – den Jugendlichen, denen unterstellt wird, dass sie an Beteiligung interessiert sind, werden entsprechende Formate bereitgestellt und Plattformen geboten. Denjenigen, die sich vermeintlich nicht beteiligen wollen, weil sie es möglicherweise in diesen Formaten nicht können oder wollen, wird auch kein Gehör geschenkt, was den Eindruck des Desinteresses wieder verstärkt.
- Partizipation im Zusammenhang mit (anerkennenden oder ablehnenden) biografischen Erfahrungen steht.
- es Formen von Partizipation gibt, die aufgrund der dahinter liegenden Normativität nicht anerkannt und gesehen werden, z.B. in der Familie oder in der Aneignung des öffentlichen Raums (dazu können auch gesellschaftlich unerwünschte Formen zählen, z.B. Graffiti oder Stickern).
- Partizipation keine Kompetenz ist, die durch ein Mehr an formaler Bildung gelernt werden kann – nicht die Jugendlichen müssen „fit“ gemacht werden für Jugendgemeinderäte, - landtage o.Ä., sondern die Formate müssen sich an die Jugendlichen anpassen.
- Partizipation nicht gelöst von einer politischen Dimension betrachtet werden kann – das Politische, die Zivilgesellschaft selbst, muss zum Gegenstand einer Aushandlung gemacht werden, in der junge Menschen in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft als ernstzunehmende Subjekte mit eigenen Lebensvorstellungen begriffen und behandelt werden. Die Jugendarbeit kann so eine politische Instanz darstellen, indem sie junge Menschen als kompetente Subjekte mit der Fähigkeit zur Selbstbestimmung begreift. Jedoch muss mitbetrachtet werden, dass sie an ihre Grenzen stößt, „wo die Realität außerhalb des Jugendhauses für die Jugendlichen im Wiederspruch zu ihren Erfahrungen im Jugendhaus steht“ (Schwanenflügel, 2013, 276).
Damit wird Partizipation kein „Selbstläufer“ im Sinne einer richtigen Information oder Werteeinstellung, sondern ist ein Bildungsprozess!
Für mich und meine Praxis bedeutet das…
… zu reflektieren, wo und wie ich Gelegenheitsstrukturen schaffe, wo ich eventuell auch welche verhindere und welche normativen Vorstellungen in mir selbst vorhanden sind.
Für Jugendliche beginnt ihre Partizipationskarriere dort, wo Partizipation als subjektiv sinnvolles Handeln erfahren wird, d.h. wo sie auf positive Resonanz stoßen (Schwanenflügel, 2013, 266). Im ersten Moment sind solche Handlungen weniger aus einer Vorstellung von politischer und sozialer Einmischung oder bürgerlichem Engagement motiviert. Kinder und Jugendliche wollen ihre Handlungsfähigkeit sichern, sichtbar sein und Anerkennung erfahren. Gleichzeitig beziehen sie sich mit ihrem Selbstbestimmungsanliegen auch auf einen sozialen Zusammenhang und einen öffentlichen Kontext (ebd., 268). Partizipation wird zu einem wachsenden Aneignungsprozess, in dem die Mitbestimmungsanliegen der Kinder und Jugendlichen mit der Zeit immer deutlicher werden und sich auf ein erweitertes gesellschaftliches Feld beziehen. Dieser Prozess kann nur entstehen und wachsen, wenn ihre Äußerungen ernstgenommen und wahrgenommen werden. Hier liegt der besondere Auftrag in dem Schaffen von Gelegenheitsstrukturen für benachteiligte junge Menschen, die meistens wenig anerkennende Erfahrungen in der Äußerung von Mitbestimmung und Teilhabe gemacht haben. Sie für Engagement zu begeistern und zu motovieren stellt sich oft als Herausforderung dar. Meistens ist ihr Alltag von anderen Problemen und Aufgaben geprägt (Armut, Schulproblemen, familiäre Zerrüttung, Probleme mit Gewalt und Drogen etc.). Gerade hier braucht es nicht nur eine grundsätzliche Unterstützung in der Lebensbewältigung sowie die Verhinderung von Exklusion, sondern die Eröffnung demokratischer Mitgestaltung der Gesellschaft (Sturzenhecker, 2015, 26). Außerdem läuft eine ausschließliche Bewältigungsorientierung Gefahr, benachteiligte Kinder und Jugendliche nur auf ihre Defizite zu reduzieren und zu adressieren. Werden nur noch Regeln durchgesetzt und ein nicht einhalten sanktioniert, geht der Blick auf die Themen und Interessen der Adressat*innen verloren. Eine negative Stigmatisierung der Kinder und Jugendlichen in ihrem Problematischsein verhindert die Entwicklung von Selbstbestimmung und Selbstwirksamkeit. Hierfür ein Beispiel:
„Dilan und Max spielen Wii. Sie fluchen, wenn etwas schiefgeht: ‚Fuck!‘ Die Fachkraft schreitet ein: ‚Die Hausregeln verbietet, solche Worte zu benutzen! Hört jetzt damit auf!‘ Dilan: ‚Och Mann, das Spiel stresst halt!‘ Fachkraft: ‚Ich sags euch nicht nochmal!‘ Dilan und Max ducken sich und spielen weiter. Die Fachkraft tritt hier nur noch als Regelsetzer bzw. –durchsetzer auf. Sie begründet die Regeln nicht, streitet nicht über deren Sinn und sucht keine Alternativen mit dem Jugendlichen. Die Jugendlichen sind keine Mitgestalter der sozialen Regeln des Jugendhauses, sondern deren Objekte“ (ebd., S.35).
Ein weiteres Beispiel aus einem Jugendtreff zeigt eine andere Dimension: Es handelt sich um einen Jugendlichen, der anfängt beim Kindertreff mitzuhelfen. Durch die Mithilfe beim Kindertreff kann der Jugendliche die Nähe zu einer Mitarbeiterin sichern, die für ihn „wie eine zweite Mutter“ ist und weiterhin am Kindertreff teilnehmen, der für ihn biografisch wichtig ist, weil er sich selbst als Kind dort aufgehoben gefühlt hat. Durch den Treff fängt er an, auch weiter Verantwortung im Jugendhaus zu übernehmen, bis er schließlich selbstständig Angebote gestalten und ein Mitspracherecht in den Belangen des Jugendhauses (Schwanenflügel, 2013).
Wie gelungene Partizipationsangebote aussehen könnten, haben wir in unseren Aktionskärtchen in weiteren Artikeln zusammengestellt.
Literatur:
Schwanenflügel, Larissa. 2013. : Partizipationsbiographien Jugendlicher. Zur subjektiven Bedeutung von Partizipation im Kontext sozialer Ungleichheit. Wiesbaden: Springer VS.
Sturzenhecker, Benedikt. 2015. Gesellschaftliches Engagement von Benachteiligten fördern - Band 1. Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung.